Wenn der Rechtsstaat seine Schutzmechanismen verliert – und das Widerstandsrecht greift
In unserer Demokratie ist das Recht auf Widerstand kein Aufruf zur Gewalt, sondern ein letztes Korrektiv. Es setzt genau dort an, wo der Staat seine eigene Korrekturfähigkeit verliert. Oder jemand (Regierung) diese Korrekturmöglichkeiten systematisch ignoriert. Art. 20 Abs. 4 GG erlaubt Widerstand nur dann, wenn andere Abhilfe nicht mehr möglich ist. Gemeint ist kein Aktivismus, sondern die Verteidigung der Verfassung, wenn ihre Schutzmechanismen systematisch versagen.
Dieses Widerstandsrecht wird vom Verfassungsgericht ausdrücklich als Recht, das nicht einschränkbar ist deklariert. Es legitimiert die strukturelle, sprachliche, juristische und öffentliche Delegitimierung staatlichen Handelns, wenn dieses selbst verfassungswidrig wird.
Zwei Beispiele zeigen dieses Problem klar.
Beispiel 1: Blockade der Selbsttötung unter Jens Spahn
2017 entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass schwerstkranke Menschen in extremen Ausnahmefällen Zugang zu tödlichen Medikamenten beantragen dürfen. Dieses Urteil war bindend.
Das zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) lehnte dennoch nahezu alle Anträge pauschal ab. Diese Ablehnung erfolgte auf politische Weisung des Bundesgesundheitsministeriums unter Jens Spahn.
Die Verwaltung setzte damit bewusst ein geltendes Gerichtsurteil außer Kraft. Menschen, die einen rechtlich eröffneten Anspruch hatten, wurde der Zugang verweigert. Mehrere Antragsteller starben, bevor überhaupt eine echte inhaltliche Prüfung stattfand.
Hier liegt der Kern des Problems: Wenn Ministerien beginnen, rechtskräftige Gerichtsentscheidungen politisch zu neutralisieren, ist die Gewaltenteilung faktisch beschädigt. Der Rechtsstaat funktioniert dann nicht mehr korrekt. Widerruf, Rechtsmittel und gerichtliche Korrektur laufen ins Leere, wenn die Verwaltung sich offen gegen Rechtsprechung stellt.
Das ist kein Einzelproblem. Das ist ein strukturelles Versagen staatlicher Schutzmechanismen.
Beispiel 2: Neue Grundsicherung entgegen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
Das Bundesverfassungsgericht hat 2019 klar entschieden, dass das Existenzminimum aus Art. 1 und Art. 20 GG nicht antastbar ist. Sanktionen dürfen maximal 30 Prozent betragen. Eine vollständige Streichung von Leistungen ist verfassungswidrig.
Die geplante „Neue Grundsicherung“ sieht dennoch Modelle vor, bei denen Leistungen mehrfach sanktioniert und im Ergebnis vollständig entzogen werden können. Politisch wird das als „Fördern und Fordern“ verkauft. Juristisch ist es ein klarer Angriff auf die Substanz des Sozialstaatsprinzips.
Der Staat verschiebt damit die Funktion der Grundsicherung: Weg von einer Garantie menschlicher Würde, hin zu einem Disziplinierungsinstrument. Das widerspricht der Logik des Grundgesetzes und der bindenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
Wenn der Gesetzgeber systematisch Regelungen plant, die mit höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht vereinbar sind, dann versagt der institutionelle Selbstschutz des Systems. Lasst mich das genauer ausführen:
Missachtung des BVerfG = Angriff auf Gewaltenteilung = Abbau tragender Struktur
Das ist in der Staatsrechtslehre als echtes Problem anerkannt.
Gewaltenteilung existiert nur, wenn:
- Gericht entscheidet → Exekutive befolgt
- Sonst ist das Gericht nur Symbol, keine Gewalt
Wenn Urteile systematisch ignoriert, umgangen oder durch Ersatzgesetzgebung faktisch neutralisiert werden, ist das:
kein normaler Rechtsverstoß, sondern ein struktureller Bruch.
In der Theorie heißt das:
- Entkernung der Judikative
- Normative Aushöhlung der Verfassung
Was Widerstand hier bedeutet – und was nicht
Widerstand im Sinne des Grundgesetzes bedeutet nicht Gewalt, nicht Zerstörung, nicht Aufruhr. Gewalt lehne ich ausdrücklich ab.
Gemeint ist:
– öffentliche Benennung von Rechtsbruch
– juristische Argumentation
– Dokumentation von Verfassungsverstoß
– politische Delegitimierung rechtswidriger Praxis
– Verweigerung innerer Loyalität gegenüber verfassungswidrigem Handeln
Wenn Gerichte ignoriert werden, Grundrechte entkernt werden und institutionelle Kontrollmechanismen ins Leere laufen, entsteht ein legitimer Zustand gewaltfreier Widerständigkeit.
Nicht gegen den Staat an sich, sondern gegen den verfassungswidrigen Regierungsanspruch und die Umsetzung von Verfassungsbrüchen durch die Bundesregierung. .
Der Rechtsstaat lebt nicht davon, dass er sich „Rechtsstaat“ nennt. Er lebt davon, dass Urteile gelten, Grundrechte unangreifbar sind und Schutzmechanismen funktionieren.
Wenn sie systematisch unterlaufen werden, entsteht kein Chaosrecht. Es entsteht ein legitimes Recht auf strukturellen Widerstand. Nicht gegen Ordnung – sondern für die verfassungsmäßige Ordnung.
Wo jedoch die heutige Rechtslehre gerne daneben greift. Der Rechtsstaat formell existiert,
aber materiell beschädigt ist – das ist bereits die Grundlage zum Widerstand.
Aber: Denn Gerichte tagen und die Urteile Beachtung finden, freie Wahlen stattfinden, Medien arbeiten und nicht diskreditiert werden,sagt die Rechtsdogmatik: Schwelle nicht erreicht.
Was aber bedeutet, das eine klare Linie entsteht, wenn eine Regierung nicht nur mal Gesetze verfassungswidrig ausformuliert, sondern wider geltende Rechtsprechung Gesetzte neu formuliert, die dem Wesen nach, den Inhalt nach und dem Regierungsabsichten nach diese Urteile untergraben, unterminieren und als Gegenstandlos bei gleicher Wirkung machen, zeichnet die Regierung eine Grenze, die sie selbst ins Unrecht und den Widerstand nach 20.4 legitimierend setzt.
Wenn das Widerstandsrecht bei hoher Hürde warten müsste, bis es die Bundesrepublik nicht mehr gibt, weil der Staat umgebaut wurde, dann ist das falsch. Nicht gegen den, der diese Ordnung abgeschafft hat, sondern gegen jene die es versuchen, besteht dieses Recht auf Widerstand. Wenn dieser Punkt, das nichts mehr davon da ist, erreicht wurde, dann geht es nicht um Widerstand. Sondern um Revolution. Widerstand soll uns zurück zum Funktionieren führen. Wenn es erst beginnen darf, wenn der Rechtsstaat bereits aufgehört hat zu existieren, dann ist das kein Recht sondern eine Farce mit Buchstaben. Und dazu ist unser Recht auf Widerstand nie formuliert worden.
Quellen
https://www.bverwg.de/pm/2017/68
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-01/sterbehilfe-antrag-ablehnung-jens-spahn
https://www.welt.de/politik/deutschland/article205034346/Sterbehilfe-Moral-steht-nicht-ueber-dem-Recht.html
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2019/bvg19-074.html
https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/neue-grundsicherung-986392